IT Theologie

Du sollst keine anderen Götter neben mir haben, so donnert das 2. Gebot den Israeliten entgegen. Und auch ich will hier keine neuen Götter beschwören. Allerdings finden sich menschliche Verhaltensweisen und Einstellungen, die wir in diesem religösen Ansatz finden, auch in profanem Umfeld als Muster wieder.

So auch in dem Bereich der Betriebswirtschaft und der Informationstechnologie (IT). Sowohl in einer sehr sinnvollen Bedeutung - Konzentration auf das Wesentliche - als auch in seiner Verzerrung in Götzen, die Aufmerksamkeit erheischen. Wir staunen über Skurilitäten und Besonderheiten, mit der Themen und Schwerpunkte gesetzt werden, und wir wundern uns, wie Dinge, die ein Außenstehender als absurd erkennt, sich dennoch wiederholt ereignen.

So bekommen gerade im Konzernkontext Themen wie 'zentrale Prozesse', 'Standardisierung' etc. ein Eigenleben, die - böse gesprochen - an den Charakter von Götzen erinnern. Durch diese zum Programm erhobene Schlagworte ist der Nutzen für das Gesamtunternehmen aus dem Fokus gerutscht. Themen und Konzepte verselbstständigen sich und bekommen ein Eigenleben.

Die betriebswirtschaftliche Trinität - Rentabilität, Stabilität und Wachstum - mag aus philosophischer Gesamtschau bereits partikularistisch erscheinen, weil sie den Sinn des Wirtschaftens nicht mehr hinterfragt, ist aber für diesen Aufsatz eine hinreichende Grundlage. Sie setzt den Kontext für Ausprägungen einer Unternehmenskultur und lässt die Konformität von Maßnahmen im Unternehmenskontext überprüfen. Zunächst ist noch zu fragen, ob nicht die genannte Trinität bereits ein Götze sei, oder ob wir überhaupt von einer Zielharmonie sprechen können. Dazu soll auf das Verständnis eines Götzen zu sprechen kommen.

Besagter Götze ist hier darin zu klassifizieren, dass er sich verselbstständigt hat, Tribut fordert ohne aber konsistent einem höheren Ziel zu dienen. Beispiele:

  • Vereinheitlichung ist ein Ziel, das aus dem Wunsch zur Reduktion von Ineffizienz geboren wurde. Denn oft festgestellter Variantenreichtum erfordert Mehrfachbearbeitung und führt zu vermeidbaren Reibungen. Also ist Vereinheitlichung doch eine gute Sache - oder etwa nicht? So weit ... so gut. Nur treibt der Wunsch nach Standardisierung Blüten, die seinerseits eine rationale Bezugnahme zur Rentabilitätssteigerung nicht mehr erkennbar erscheinen lassen.
Dann dient der Götze Standardisierung nicht mehr der Trinität, sondern lässt sich selber huldigen. Standardisierung ist hier nur ein Beispiel, denn immer neue Trends und Schlagworte schaffen neue Götzen, die eines gemein haben: Sie lösen sich aus dem Kontext der Oberziele und verselbstständigen sich.
  • Rentabilität und Stabilität stehen oft genug im Zielkonflikt, denn ein Strohfeuer oder eine risikoreiche Entscheidung mag die Rentabilität antreiben, aber die Stabilität belasten. Ebenso setzen stabilisierende Maßnahmen oft genug Grenzen der Rentabilität, da sie Chancen ungenutzt verstreichen lässt. Allerdings sind beide im Verbund eben keine Götzen mehr, sondern werden in der Zusammenschau erst zu einem treibenden Prinzip, der den Menschen in seiner Gesamtheit auch nachhaltig nutzt. Da, wo nicht mehr nur die engen Scheuklappen gesehen werden öffnen sich neue Perspektiven. Die betriebswirtschaftliche Trinität wird erst in ihrer Zusammenschau zu einem Paradigma, das allerdings selbst nicht mehr Gott und Ziel in sich selber sein will, sondern den Menschen dient.
  • Wachstum erscheint als isoliertes Ziel auch als Götze, denn wem oder was dient ein Wachstum als Ziel? Im Verbund der Trinität aber ergibt es eine Erfolgskontrolle und Weisung für die anderen beiden: Funktionieren die anderen beiden, ist Wachstum meist die logische Folge. Stabilität erfordert oft Wachstum, denn Stagnation bewirkt meist ein Verlust an Substanz für künftige Marktrunden. Ohne Rentabilität wird Wachstum zur Nova die zwar wächst, aber in sich zusammenfällt.

Was hat das alles mit Informationstechnologie - IT - zu tun? Nun, IT ist für fast alle Geschäftsprozesse der unterschiedlichsten Bereiche prägend. IT Betrieb und Entwicklung stellen eigene Geschäftsprozesse im Unternehmenskontext dar. Wenn IT die Ebene der reinen Pragmatik verlässt - und das tut sie ab einer gewissen Unternehmensgröße immer - drückt die IT nachhaltig die Unternehmenskultur aus und kann sich ggf. selber als Götze zum Unternehmen etablieren. Um so wichtiger ist es für die IT, mit Good Practices eine Art Muster für andere Unternehmensbereiche zu werden, die in Harmonie mit den anderen Faktoren der betriebswirtschaftlichen Trinität dient.

Ist dieser wirtschaftsphilosophische Ansatz nicht zu weit abgehoben, um die praktischen Entscheidungsprozesse zu prägen? Keineswegs! Auch wenn eng fokussierter Pragmatismus immer mehr Raum gewinnt, zeigt sich ja gerade der moderne Wahnsinn: Praktisches Handeln löst sich von seinen Grundlagen und führt in die Irre. Eine analytische Positionsbestimmung und Besinnung auf die eigentlichen Ziele ist nie so wichtig gewesen wie heute!

Oft aber sieht die Realität anders aus. ... Warum ist das so?

  • Zum Einen ist die Begrenztheit des menschlichen Denkens zu nennen. In einer zunehmend komplexeren Umwelt mit steigenden Freiheitsgraden für Entscheidungsprozesse sind alle Beteiligten tendenziell überfordert. Sie suchen Orientierung, um überhaupt handlungsfähig zu sein. Und da liefert die Konzentration auf engräumige Entscheidungssituationen und vorgegebenen, unreflektierten Zielen eine anscheinend sinnvolle Hilfe.
  • Die Entscheidungskompetenz des Einzelnen ist eingeschränkt. Er kann gar nicht mit noch so klugen Gedanken seine Rahmenbedingungen befriedigend ändern. Reflektion führt zum Erkennen von Mißständen, die man aber nicht beheben kann. Also steigt eine unproduktive Frustration. Wer also den Weg aufwärts in eine umfassendere Entscheidungskompetenz macht, hat vorher bereits ein Intensivtraining zur Engführung absolviert.
  • Organisationen erfordern, dass einmal verabschiedete Strategien nicht immer wieder hinterfragt werden können, sondern, dass diese auch umgesetzt werden müssen.

Wir halten fest: Organisationen sind vom Prinzip her selbst-referenziell affirmativ und resistent gegen Reformation. Aber die Realität holt diese Strukturen auf kurz oder lang ein - und zwar oft recht schmerzhaft. Denn die Hoffnung, dass alle Konkurrenzveranstaltungen ebenso die Regeln der betriebswirtschaftlichen Trinität missachten, erweist sich meist als trügerisch. Wenn Mitbewerber einen Vorsprung an Rentabilität, Stabilität und Wachstum erwerben, dann werden eben diese den Punkt machen.

Religös gesprochen: Die betriebswirtschaftliche Trinität ist wie ein unerbittlich rächender Gott, auch wenn sie die Sonne über die Frevler eine Zeit lang scheinen lässt.

Darin mögen Rahmenparameter wie Lohnkosten und Infrastruktur, Marktsättigung und Ordnungspolitik eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, das Primat bleibt aber dem klug wirtschaftenden Entscheider, der auch unter negativen Rahmenbedingungen Chancen erkennen kann und somit Hindernisse und Fehler kompensiert. Besser ist es fraglos, die Chancen nicht nur zu nutzen, sondern auch die systematischen Fehlerquellen einzudämmen.

Ein erfolgskritischer Schritt ist darin die Verehrung der betriebswirtschaftlichen Trinität. Wenn diese zum Licht wird, um pragmatische Alltagsentscheidungen zu beleuchten und auszurichten, hat der Artikel sein Ziel erreicht.

Entscheidungen über IT-Projekte werden sachgerecht, Projektorganisationen werden effizienter und Strategien werden nach Nutzen hin umgesetzt - nicht nach sich verselbstständigenden Prinzipien.

Und was die Theologie anbelangt: Das persönliche Leben und Gottesbeziehung hat nicht wirklich was mit Betriebswirtschaft oder IT zu tun, auch wenn sich manche Muster wiederfinden lassen.